Thorsten Semrau ist als Professor für Management an der Universität Trier tätig. In Forschung und Lehre befasst er sich insbesondere mit Fragen aus dem Bereich der Organisations- und Unternehmensentwicklung sowie dem Personalmanagement. Aktuelle Schwerpunkte sind dabei die Themen Führung, Teamprozesse und Organisationskultur.

HR4GREEN: „Unternehmen müssen grüner werden“ – das hört man in letzter Zeit recht oft. Doch was bedeutet das aus Deiner Sicht als Experte für Change im Hinblick auf den Faktor Mensch?

Thorsten Semrau: Das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit ist hochrelevant – und dies in vielerlei Hinsicht. Auf gesellschaftlicher Ebene geht es darum, dass wir vor dem Hintergrund des Klimawandels unseren Lebensraum erhalten. Es gibt jedoch auch noch handfeste weitere Gründe für Unternehmen, die dafür sprechen, das Thema auf strategischer Ebene als Ziel aufzunehmen. Mit einer ökologisch nachhaltigen Ausrichtung trägt ein Unternehmen den steigenden Energiekosten, der Finanzwelt, der Regulatorik und auch den sich ändernden Konsumentenpräferenzen Rechnung. Wenn das in der strategischen Zielsetzung berücksichtigt wird, betreibt ein Unternehmen mit einer ökologisch nachhaltigen Ausrichtung auch aktives Risikomanagement. Unter dem Strich ist das nicht nur den Versuch, die Welt, sondern auch die Organisation zu langfristig zu retten. 

Wenn ich als Unternehmen wirklich „grüner“ werden möchte, dann muss sich dies auf das Verhalten aller Menschen in der Organisation beziehen. Es ist egal, ob wir dabei über den Einkauf, die Produktion, die Entwicklung oder den Vertrieb sprechen: Ökologisch nachhaltiges Verhalten muss einen höheren Stellenwert bekommen. Es reicht nicht aus, dass sich das Thema auf strategischer Ebene wiederfindet, sondern es muss auf einzelne Unternehmensbereiche und auf die einzelnen Mitarbeitenden heruntergebrochen werden. Nur so kann eine Umsetzung von Absichtserklärung hin zu konkretem Handeln erfolgen. Die Verhaltensänderung jedes einzelnen Mitarbeitenden muss das Ziel sein – und damit die Veränderung der Unternehmenskultur.
Das schafft man nur, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine solche Verhaltensänderung begünstigen. Um Wertemuster, Einstellungen und Präferenzen zu ändern, müssen neue auch Werte aktiv vorgelebt werden. Dabei wird es dazu kommen müssen, dass Vorbilder und ihr Verhalten neu definiert werden und so der Wandel unterstützt wird. Dass passiert unter anderem dann, wenn eine explizite Würdigung und Wertschätzung von erwünschtem Verhalten erfolgt. Ein weiterer Aspekt: auch „grüne“ Ziele sollten in Mitarbeitergesprächen eine Rolle spielen und dokumentiert werden. Letztendlich geht es darum, das Thema „grün“ als Wert sichtbar zu machen, mit Leben zu füllen und zu verankern.

HR4GREEN: Mehr ökologische Nachhaltigkeit. Ist das im Grunde genommen „Organisationsentwicklung as usual“ oder gibt es dabei ganz konkrete neue Chancen und Herausforderungen?

Thorsten Semrau: Grundsätzlich führt eine Organisation neue Themen auf strategischer Ebene nur dann ein, wenn sie sich davon einen Nutzen verspricht. Gründe für die Aufnahmen von ökologischer Nachhaltigkeit als Ziel auf strategischer Ebene habe ich bereits dargelegt und da sehe ich keine Unterschiede zur klassischen Einleitung eines Change. Darüber hinaus ist es jedoch hier – im Gegensatz zu vielen anderen Veränderungen – so, dass die Unternehmen gar keine Wahlmöglichkeit haben. Das Thema kommt eher früher als später für alle.

Begünstigend kann sich auswirken, dass die Umsetzung von Veränderung dann leichter fällt, wenn damit Bedürfnisse angesprochen werden, die bereits vorhanden sind. Das können wir beim Thema ökologische Nachhaltigkeit vielleicht eher annehmen als bei anderen Changevorhaben. Denn: Die Menschen treibt das Thema einfach um. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist die Veränderung des Zielsystems. Viel Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund eines bestehenden Zielsystem (z.B.: Verbesserung der Performance, Verbesserung der Qualität, Erhöhung der Effizienz). worüber wir hier reden, ist ein Wandel des Zielsystems selbst: Nachhaltigkeit kommt als ein neues Ziel dazu. Es ist denkbar, dass daraus mehr Innovationskraft entstehen kann, da neue Möglichkeiten denkbar werden. Insofern ist dieser Wandel in vielerlei Hinsicht fundamentaler als sonst: was wertvoll ist, wird neue definiert.

HR4GREEN: Was sollte eine Organisation, die im beim Thema „ökologisch nachhaltiger Change“ noch in den Startlöchern steckt machen, damit die Umsetzung eine gute Erfolgschance hat?

Thorsten Semrau: Eine Bestandsaufnahme ist immer sinnvoll und wichtig. Es stellt sich ja die Frage, welchen Wert das Thema ökologische Nachhaltigkeit ganz unabhängig von strategischen Formulierungen schon hat. Neue Werte sind einfacher einzuführen, wenn eine Anschlussfähigkeit an vorhandene Wertvorstellungen vorhanden ist. Wenn ein Unternehmen eine gute Wahrnehmung darüber hat, wie es darum bestellt ist, können auch Ansatzpunkte erkannt werden und darüber kann eine zieldienliche Konkretisierung der vorhandenen Instrumente und Prozesse von HR erfolgen. Der Personalbereich ist bei der Entwicklung einer grünen Organisationskultur aus meiner Sicht der zentrale Treiber. Wenn HR diese Rolle nicht annimmt, wird auch nichts passieren. Personalauswahl, Beförderungen, Zielvorgaben: all steht in engem Zusammenhang mit der Bestärkung von erwünschtem Verhalten. Dabei wird es insbesondere am Anfang eines grünen Change auch darum gehen, Zielkonflikte auszuschließen. Ein ökologisches Rational darf nicht als Konkurrenz zu ökonomischem Denken wahrgenommen, sondern muss im Gegenteil als Bereicherung und essentieller Bestandteil einer guten Lösung gesehen werden.